"Warte noch - sie sitzt dort hinten in der Ecke!" flüsterte mir meine Freundin zu. Vorsichtig lugten wir um die Stallwand und sahen sie. Die Hofherrin sass an ihrem Holztisch und zu ihren Füssen lag ihr Hund. Ein gewaltiges Tier mit einem großen unfreundlichen, meist zähnefletschenden Maul. Die Hofherrin erhob sich und ging auf die Türe zu, die am hinteren Ende des Stalles in das Wohnhaus führte. Der Hofhund folgte ihr. Er war wie ihr Leibwächter.
"Jetzt schnell - los, Bea - jetzt oder nie!" Ich lief los. Auf meinem Rücken ein kleiner Sack mit meinen Habseligkeiten. Endlich geht es in die Freiheit, dachte ich mir. Vorbei mit der Knechtschaft und den Launen der Bäuerin. Ich schaute mich kurz um - Lisa stand immer noch an die Stallwand gedrückt, winkte mir zu und huschte davon. Ich war einen kurzen Moment traurig. Sie wollte nicht mit mir gehen - ihre Angst, erwischt und zurückgeholt zu werden, war zu groß. Die Strafen der Bäuerin waren grausam.
Ich lief über das Feld, hinüber zu den Häuserreihen - dort wohnte meine Tochter. Bei ihr wollte ich Unterschlupf suchen - erst einmal. Ich wußte, dass ich bei ihr nicht bleiben konnte, denn es wäre sicher der erste Ort, wo man nach mir suchen würde.
Endlich erreichte ich die Häuser - sie lagen so friedlich da, denn es war noch früh am Morgen. Wie im Dornrösschenschlaf, alles war still, einzig mein schneller, keuchender Atem und das Rascheln des Grases unter meinen Füssen, war zu hören.
"Gleich hab ich es geschafft", flüsterte ich mir selbst zu. Ich freute mich auf mein Mädchen. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen. Auch wenn die räumliche Entfernung nicht sehr groß war, aber die Bäuerin erlaubte keinen Kontakt zu den Menschen aus dem Dorf. In vielen Nächten lag ich weinend in meinem Bett und war voller Sehnsucht.
Ich lief weiter. Dann stand es vor mir, das kleine Häuschen in dem mein Kind wohnte. Ich hielt kurz inne und schaute auf die winzigen Fenster mit den zugezogenen Vorhängen. Ich zögerte. Was wird passieren, wenn ich an die Türe klopfe. Sie wusste nicht, dass ich komme. Ob sie sich erschreckt? Auch die Menschen im Dorf hatten Angst vor der Bäuerin.
Ich klopfte leise und zaghaft an die Holztüre des Hauses. Nichts rührte sich. Ich versuchte es noch einmal - ein wenig lauter und schon hörte ich eilige Schritte nackter Füsse. Die Türe öffnete sich und sie stand vor mir. In diesem Moment liefen mir die Tränen über mein heisses Gesicht - ich konnte sie nicht zurückhalten. Ich spürte, wie mich Arme umschlangen und sich das zarte Gesicht meines Kindes gegen das meine drückte. Ich war so glücklich.
Endlich kam ich ein wenig zur Ruhe und spürte das dringende Bedürfnis das stille Örtchen aufzusuchen.. es eilte. Die Angst und Aufregung, der Weg und das Wiedersehen hatten mich es nicht wahrnehmen lassen, aber nun löste sich ein Großteil der Anspannung...
Ich fragte meine Tochter nach dem Weg....
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... und plötzlich war ich wach ... noch ganz benommen von meinem Traum, drehte ich mich in die vermutete Richtung meines Nachttischlämpchens - und stürzte aus dem Bett. Zu allem Unglück befand sich aber mein Kopf so weit oben, dass ich an dem kleinen Nachttisch nicht unbeschadet vorbei kam. Nur gut, dass der Fall nicht allzutief war und mein Kopf nicht allzuweit zur Seite gedrückt wurde.. schmerzhaft wars, aber das Bedürfnis, endlich aufs Klo zu kommen, war grösser..
Schon seltsam, wie Träume und Bedürfnisse miteinander verweben... und aus dem Bett bin ich noch nie gefallen - aber irgendwann ist wohl immer das erste Mal.